Warum unsere Kinder Tyrannen werden
Oder: Die Abschaffung der Kindheit
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Produktinformationen zu „Warum unsere Kinder Tyrannen werden “
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Klappentext zu „Warum unsere Kinder Tyrannen werden “
Kleinkinder außer Rand und Band, Zehnjährige, die Eltern und Lehrern keinen Respekt entgegenbringen: Unter dem Deckmantel eines »partnerschaftlichen« Umgangs werden Kinder überfordert, erhalten weder Struktur noch Orientierung und entwickeln sich deshalb zu kleinen Tyrannen. Nur wenn unsere Kinder wieder wie Kinder behandelt werden, können sie lebensfähig und glücklich werden. Ein Buch für alle, die wollen, dass unsere Gesellschaft ihre Kinder lieben kann ...
Lese-Probe zu „Warum unsere Kinder Tyrannen werden “
Warum unsere Kinder Tyrannen werden von Michael Winterhoff
Kapitel 1
Zwischen Super-Mamas und Erziehungsnotstand – Wenn aus Kindern Tyrannen werden
In deutschen Wohnstuben sind sie allabendlich auf den TV-Schirmen zu sehen: »Super-Nannies« oder Super-Mamas wer den vor laufenden Kameras in einen Familienalltag eingeschleust, in dem schon längst so ziemlich alles kaputt gegangen zu sein scheint. Ein Familienalltag, der nichts mehr mit dem zu tun hat, was wir ursprünglich einmal im positiven Sinne damit verbunden haben. Stattdessen: außer Rand und Band geratene Kinder, kreischende, schreiende Eltern und Geschwister – schlagende Beispiele einer menschlichen Entwicklungsstufe, die doch eigentlich unser aller Zukunft sein sollte.
Die Botschaft ist klar: Deutschlands Kinder sind nur noch mit harten Methoden, einer Art »Zero-Tolerance«-Strategie in der Erziehung auf Kurs zu bringen.
Derartige Überzeichnungen von auf Krawall gestylten Dokus deutscher TV-Stationen, gesendet zur Prime-Time, umringt von den teuersten Werbeplätzen des Programms, werden gerne als »Schund«, »Unterschichten-TV« oder »peinlich« gebrandmarkt.
Und doch bringen sie oft genug ein latent in der Gesellschaft vorhandenes Gefühl ebenso auf den Punkt wie die fette Schlagzeile eines bundesweit bekannten Boulevard- Blattes, das angeblich keiner liest, aber dessen Inhalt doch jeder kennt. Ihre hohen Einschaltquoten generieren solche TV-Sendungen nicht zuletzt aus dem Umstand, dass die vorgeführten Phänomene dem Zuschauer merkwürdig bekannt vorkommen und ein Gefühl des »Genauso-ist-es« erzeugen.
Die Sendungen führen genau jene kleinen Tyrannen vor, die zunehmend unser aller Leben bevölkern. Kinder, deren Erziehung vollkommen aus dem Ruder gelaufen zu sein scheint, die nichts mehr mit den »lieben Kleinen«
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gemein haben, die jeder Vater, jede Mutter sich einmal gewünscht hat. Das Problem an der Sache ist: Ob Pseudo-Erziehung im Abendprogramm oder feinfühliges, aufwändiges Kümmern besorgter Eltern in den heimischen vier Wänden – all diese Versuche, des Problems Herr zu werden, sind so lange zum Scheitern verurteilt, wie wir einen der wichtigsten Bestandteile des Menschen dabei außer Acht lassen. Bewusst außer Acht lassen, weil wir glauben, er entwickle sich von ganz allein und sei irgendwann automatisch voll ausgebildet: die Psyche.
Ich sehe in meiner Praxis tagtäglich Kinder und Jugendliche mit vielfältigen Störungen. Im Laufe meiner Tätigkeit als Kinderpsychiater haben sich bei der Analyse der auftretenden Störungen so gravierende Veränderungen ergeben, dass Anlass zu großer Sorge um die gesamtgesellschaftliche Zukunft gegeben ist. Immer weniger arbeits- und beziehungsfähige Jugendliche und Erwachsene werden die Folge sein, wenn sich weiterhin kein Bewusstsein für diese Störungen bildet.
Bei einem großen Teil dieser Kinder und Jugendlichen, die in allen Lebensbereichen Probleme verursachen, haben wir es nach meinem in langjähriger Beobachtung entwickelten Modell mit Menschen zu tun, deren psychischer Reifegrad in etwa auf dem Niveau von maximal Dreijährigen stagniert. Anders gesagt: Diese Jugendlichen sind in einer frühkindlichen psychischen Phase fixiert, ihr körperliches und ihr psychisches Alter klaffen weit auseinander. Sie können dadurch keinerlei störungsfreie Beziehung zu ihrer Umwelt mehr aufbauen.
Jeglicher Zugang zu ihnen scheint unmöglich geworden zu sein, sie terrorisieren ihre Umwelt mit einem inakzeptablen Verhalten und sind gegen Steuerungsversuche von außen absolut immun.
Mein Ansatz, der die psychische Entwicklung der Kinder in den Mittelpunkt rückt, ist die einzige Möglichkeit, diesen Trend sinnvoll zu analysieren und Strategien zu entwickeln, wie man ihm wirksam entgegentreten könnte. Das ist bisher nicht so gesehen worden, weil der Grundkonsens innerhalb der für Erziehung und Ausbildung wichtigen Teile der Gesellschaft auf Annahmen beruhte, die dieser Einschätzung zuwiderlaufen.
Dieser Grundkonsens lässt sich anhand von drei grundsätzlichen Beziehungsstörungen zwischen Erwachsenen und Kindern beschreiben: der Partnerschaftlichkeit, der Projektion und der Symbiose.
Die fehlende Diskussion über die Annahmen und gesellschaftstheoretischen Meinungen, die hinter dem Konsens stehen, hat dazu geführt, dass bisher kaum Ansätze vorhanden sind, die über die Variation im Grunde immer gleicher pädagogischer Modelle hinausgehen. Diese übereinstimmende Meinung ist jedoch in den letzten Jahren zunehmend ins Wanken geraten, so dass Offenheit gegenüber dem Versuch spürbar ist, das Verhältnis zwischen Eltern, Lehrern, Erziehern und Kindern wieder so zu gestalten, dass Erstere in der Lage sind, Ausbildung und Erziehung wirksam zu steuern. Wir befinden uns mittlerweile in einem Ausnahmezustand, in dem Kinder zu Erziehern ihrer Eltern geworden sind und diese rein lustbetont steuern können, ohne Grenzen aufgezeigt zu bekommen.
Der Grund dafür liegt nicht in angeborener Bösartigkeit, sondern darin, dass diese Kinder psychisch gar nicht in der Lage sind, ihr Verhalten als falsch zu empfinden.
Die Beschreibung der genannten drei Beziehungsstörungen wird zeigen, wo die entscheidenden Fehler und Missverständnisse sich verbergen und wo sich mögliche Auswege aus der Misere finden lassen.
Die Verantwortung für diesen Missstand, der in letzter Konsequenz die Existenz unserer friedlich zusammenlebenden Gesellschaft gefährdet, ist nicht in einem Umstand allein zu finden.
Ein ganzes Konglomerat an Einflüssen kommt zusammen und hat für die kindliche Psyche fatale Auswirkungen. Kinder, die aufgrund fehlender psychischer Voraussetzungen nicht in der Lage sind, falsches von richtigem Verhalten zu unterscheiden, entwickeln sich zu eben jenen Tyrannen und Monstern, vor denen wir im Alltag immer häufiger mit einer großen Fassungslosigkeit stehen.
Pädagogik, Erziehungskonzepte, Unterrichtsformen in Kin - dergarten und Schule und auch die tägliche Erziehung im Elternhaus, all dies kann erst voll zum Tragen kommen und Kinder auf den richtigen Weg bringen, wenn gleichzeitig darauf geachtet wird, dass ihr psychischer Entwicklungsstand auf einem altersgerechten Niveau ist. Diese Tatsache jedoch haben heute viele für Erziehung zuständige Personen überhaupt nicht mehr auf ihrem persönlichen Radar. Sie gehen vielmehr davon aus, dass Psyche etwas ist, was sich von selbst, quasi nebenbei entwickelt. Psychische Fehlentwicklungen werden dementsprechend als von außen beeinflusste, spätere Erkrankungen verstanden, die in den meisten Fällen durch Analyse und Beseitigung ihrer Ursachen wieder rückgängig gemacht werden könnten. Auffälliges Fehlverhalten von Jugendlichen wird so gut wie nie auf der Basis einer Betrachtung ihrer psychischen Reife in Augenschein genommen. Viel zu schwer scheint es, sich vorzustellen, dass sowohl relativ harmlose Dinge wie zeitweilige Verweigerungshaltung bei diversen alltäglichen Verrichtungen als auch schwerwiegende Dinge wie Diebstahl oder Gewalttätigkeit etc. sich vor dem Hintergrund psychischer Reifeprozesse sehr viel besser erklären lassen als mit Modellen, die ausschließlich soziale Einflüsse als prägend annehmen. Die gängigen Mechanismen zeigt ein Beispiel, das vor einigen Jahren kurzzeitig die Republik erschütterte.
Im November 2006 nämlich geriet die Stadt Emsdetten, gelegen im als beschaulich geltenden Münsterland, in die Schlagzeilen. Das war leider nicht positiven Entwicklungen in der 35 000-Einwohner-Gemeinde geschuldet, sondern einer Schreckensnachricht: Ein Schüler der örtlichen Geschwister- Scholl-Realschule hatte mit einem Amoklauf versucht, Mitschüler und Lehrer zu töten. Letztlich blieb es bei elf Verletzten, Glück im Unglück gewissermaßen. Das einzige Opfer war der Amokläufer selbst, 18 Jahre alt; er galt den meisten als Einzelgänger und unberechenbarer Computerspielfanatiker.
»Allgemeine Frustration und Sinnleere«, so ließ sich folgerichtig anschließend der leitende Oberstaatsanwalt vom Spiegel zitieren, hätten zu der Tat geführt; die Eltern des Amokläufers erlitten beide einen schweren Schock ob der nie erwarteten Untat ihres Sohnes.
Solche Meldungen erschrecken uns in den letzten Jahren zunehmend, sie sind die Spitze eines Eisberges, dessen Ausmaß bisher niemand so recht einzuschätzen vermag. Wer in seinem Bekanntenkreis Lehrer, Kindergarten-Erzieher oder anderweitig pädagogisch tätige Menschen hat, kennt zur Genüge die Klagelieder über die scheinbar hoffnungslose Lage bei Kindern und Jugendlichen. Diese erscheinen zu einem großen Teil als respektlos und ohne jede Orientierung an allgemein verbindlichen Werten und Normen. Dabei handelt es sich in vielen Fällen um Kinder aus intakten Familien, bei denen die üblichen Erklärungsmuster wie »schwierige Kindheit «, »kaputte Familie« oder »ungünstiges soziales Umfeld« nicht greifen.
Schwierigkeiten bereiten zunehmend Kinder und Jugendliche, deren Eltern vom ersten Tag an liebevoll mit ihnen umgehen, für jeden gut gemeinten Erziehungsratschlag dankbar sind und innovative pädagogische Konzepte in die Tat um zusetzen versuchen. Auch der Täter von Emsdetten kam, nach allem, was wir wissen, aus einer funktionierenden Familie, war ein guter Schüler. Dass er als Einzelgänger bekannt war, musste ja nicht zwangsläufig zum Amoklauf führen.
Doch zurück zu den Mechanismen, die in solchen Fällen üblich sind. Die Reaktion, die innerhalb der Gesellschaft in der vergangenen Zeit auf dieses Phänomen zu beobachten ist, setzt in der Hauptsache auf eine Pädagogikdebatte. Schwer unter Beschuss geraten ist dabei die so genannte 68er-Generation, also all jene, die aus der Not einer ganz spezifischen Generationserfahrung, dem Ausbruch aus als zu eng empfundenen Fesseln der Erziehung und Disziplin, eine Tugend gemacht zu haben schienen: Konzepte antiautoritärer Erziehung, überhaupt eine scheinbar totale Ächtung des Autoritätsbegriffes, waren lange Zeit Konsens unter all jenen, die im pädagogischen Bereich tätig waren. Auch bei den Eltern war oft eher die »lange Leine« angesagt, um nicht die gleichen Fehler zu machen, die man bei den eigenen Eltern als prägend erfahren hatte.
Vielfach ist derzeit eine radikale Umkehr zu beobachten. Erziehungsratgeber empfehlen zunehmend mehr Strenge und Konsequenz in der Erziehung, der berühmte »Klaps auf den Hintern« ist wieder diskussionsfähig geworden, wobei die derzeitige Tendenz häufig genug dahin geht, dass eben jener »noch niemandem geschadet habe«. Eine derzeit durchaus salonfähige Feststellung, die, unabhängig davon, ob sie richtig oder falsch ist, noch vor nicht allzu langer Zeit für große Empörung gesorgt hätte. Ob »Klaps« oder nicht »Klaps«, eines scheint in der gegenwärtigen Diskussion über jeden Zweifel erhaben: Der Schlüssel zu einer Änderung im Zustand unserer Kinder und Jugendlichen liegt in einer neuen Pädagogik und darauf aufbauenden didaktischen Modellen. Es wird indes nicht gesehen, dass man es sich damit zu einfach macht. Natürlich kann man »Alte Pädagogik« und »Neue Pädagogik« gegenüberstellen und daraus banale Erkenntnisse formulieren wie etwa die, dass es für Kinder besser sei, manchmal ein »Nein« zu hören, oder auch Entscheidungen in einem kommunikativen Prozess zu finden, anstatt einfach den Anweisungen des Lehrers zu folgen und diese auszuführen. Kaum jemand wird diesem Ansatz, der hier nur stellvertretend für viele weitere Ideen einer »Neuen Pädagogik« steht, widersprechen. Nur: Was braucht das Kind, um diese kommunikative Leistung überhaupt erbringen zu können? Wie sind der Lärmpegel und das sowohl Lehrer als auch Mitschüler missachtende Kommunikationsverhalten vieler Schüler heute mit solchen Ansätzen in Einklang zu bringen?
Ich verfolge demgegenüber einen grundlegend anderen und vor allem neuen Gedanken, um in der Sackgasse der aktuellen Debatte kehrtzumachen und nach neuen Wegen zu suchen, die schließlich auch zu sinnvollen pädagogischen Bemühungen führen können. Um diese Wege zu finden, muss man sich auf das Feld der Tiefenpsychologie und der Psychiatrie begeben.
© 2008 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Ich sehe in meiner Praxis tagtäglich Kinder und Jugendliche mit vielfältigen Störungen. Im Laufe meiner Tätigkeit als Kinderpsychiater haben sich bei der Analyse der auftretenden Störungen so gravierende Veränderungen ergeben, dass Anlass zu großer Sorge um die gesamtgesellschaftliche Zukunft gegeben ist. Immer weniger arbeits- und beziehungsfähige Jugendliche und Erwachsene werden die Folge sein, wenn sich weiterhin kein Bewusstsein für diese Störungen bildet.
Bei einem großen Teil dieser Kinder und Jugendlichen, die in allen Lebensbereichen Probleme verursachen, haben wir es nach meinem in langjähriger Beobachtung entwickelten Modell mit Menschen zu tun, deren psychischer Reifegrad in etwa auf dem Niveau von maximal Dreijährigen stagniert. Anders gesagt: Diese Jugendlichen sind in einer frühkindlichen psychischen Phase fixiert, ihr körperliches und ihr psychisches Alter klaffen weit auseinander. Sie können dadurch keinerlei störungsfreie Beziehung zu ihrer Umwelt mehr aufbauen.
Jeglicher Zugang zu ihnen scheint unmöglich geworden zu sein, sie terrorisieren ihre Umwelt mit einem inakzeptablen Verhalten und sind gegen Steuerungsversuche von außen absolut immun.
Mein Ansatz, der die psychische Entwicklung der Kinder in den Mittelpunkt rückt, ist die einzige Möglichkeit, diesen Trend sinnvoll zu analysieren und Strategien zu entwickeln, wie man ihm wirksam entgegentreten könnte. Das ist bisher nicht so gesehen worden, weil der Grundkonsens innerhalb der für Erziehung und Ausbildung wichtigen Teile der Gesellschaft auf Annahmen beruhte, die dieser Einschätzung zuwiderlaufen.
Dieser Grundkonsens lässt sich anhand von drei grundsätzlichen Beziehungsstörungen zwischen Erwachsenen und Kindern beschreiben: der Partnerschaftlichkeit, der Projektion und der Symbiose.
Die fehlende Diskussion über die Annahmen und gesellschaftstheoretischen Meinungen, die hinter dem Konsens stehen, hat dazu geführt, dass bisher kaum Ansätze vorhanden sind, die über die Variation im Grunde immer gleicher pädagogischer Modelle hinausgehen. Diese übereinstimmende Meinung ist jedoch in den letzten Jahren zunehmend ins Wanken geraten, so dass Offenheit gegenüber dem Versuch spürbar ist, das Verhältnis zwischen Eltern, Lehrern, Erziehern und Kindern wieder so zu gestalten, dass Erstere in der Lage sind, Ausbildung und Erziehung wirksam zu steuern. Wir befinden uns mittlerweile in einem Ausnahmezustand, in dem Kinder zu Erziehern ihrer Eltern geworden sind und diese rein lustbetont steuern können, ohne Grenzen aufgezeigt zu bekommen.
Der Grund dafür liegt nicht in angeborener Bösartigkeit, sondern darin, dass diese Kinder psychisch gar nicht in der Lage sind, ihr Verhalten als falsch zu empfinden.
Die Beschreibung der genannten drei Beziehungsstörungen wird zeigen, wo die entscheidenden Fehler und Missverständnisse sich verbergen und wo sich mögliche Auswege aus der Misere finden lassen.
Die Verantwortung für diesen Missstand, der in letzter Konsequenz die Existenz unserer friedlich zusammenlebenden Gesellschaft gefährdet, ist nicht in einem Umstand allein zu finden.
Ein ganzes Konglomerat an Einflüssen kommt zusammen und hat für die kindliche Psyche fatale Auswirkungen. Kinder, die aufgrund fehlender psychischer Voraussetzungen nicht in der Lage sind, falsches von richtigem Verhalten zu unterscheiden, entwickeln sich zu eben jenen Tyrannen und Monstern, vor denen wir im Alltag immer häufiger mit einer großen Fassungslosigkeit stehen.
Pädagogik, Erziehungskonzepte, Unterrichtsformen in Kin - dergarten und Schule und auch die tägliche Erziehung im Elternhaus, all dies kann erst voll zum Tragen kommen und Kinder auf den richtigen Weg bringen, wenn gleichzeitig darauf geachtet wird, dass ihr psychischer Entwicklungsstand auf einem altersgerechten Niveau ist. Diese Tatsache jedoch haben heute viele für Erziehung zuständige Personen überhaupt nicht mehr auf ihrem persönlichen Radar. Sie gehen vielmehr davon aus, dass Psyche etwas ist, was sich von selbst, quasi nebenbei entwickelt. Psychische Fehlentwicklungen werden dementsprechend als von außen beeinflusste, spätere Erkrankungen verstanden, die in den meisten Fällen durch Analyse und Beseitigung ihrer Ursachen wieder rückgängig gemacht werden könnten. Auffälliges Fehlverhalten von Jugendlichen wird so gut wie nie auf der Basis einer Betrachtung ihrer psychischen Reife in Augenschein genommen. Viel zu schwer scheint es, sich vorzustellen, dass sowohl relativ harmlose Dinge wie zeitweilige Verweigerungshaltung bei diversen alltäglichen Verrichtungen als auch schwerwiegende Dinge wie Diebstahl oder Gewalttätigkeit etc. sich vor dem Hintergrund psychischer Reifeprozesse sehr viel besser erklären lassen als mit Modellen, die ausschließlich soziale Einflüsse als prägend annehmen. Die gängigen Mechanismen zeigt ein Beispiel, das vor einigen Jahren kurzzeitig die Republik erschütterte.
Im November 2006 nämlich geriet die Stadt Emsdetten, gelegen im als beschaulich geltenden Münsterland, in die Schlagzeilen. Das war leider nicht positiven Entwicklungen in der 35 000-Einwohner-Gemeinde geschuldet, sondern einer Schreckensnachricht: Ein Schüler der örtlichen Geschwister- Scholl-Realschule hatte mit einem Amoklauf versucht, Mitschüler und Lehrer zu töten. Letztlich blieb es bei elf Verletzten, Glück im Unglück gewissermaßen. Das einzige Opfer war der Amokläufer selbst, 18 Jahre alt; er galt den meisten als Einzelgänger und unberechenbarer Computerspielfanatiker.
»Allgemeine Frustration und Sinnleere«, so ließ sich folgerichtig anschließend der leitende Oberstaatsanwalt vom Spiegel zitieren, hätten zu der Tat geführt; die Eltern des Amokläufers erlitten beide einen schweren Schock ob der nie erwarteten Untat ihres Sohnes.
Solche Meldungen erschrecken uns in den letzten Jahren zunehmend, sie sind die Spitze eines Eisberges, dessen Ausmaß bisher niemand so recht einzuschätzen vermag. Wer in seinem Bekanntenkreis Lehrer, Kindergarten-Erzieher oder anderweitig pädagogisch tätige Menschen hat, kennt zur Genüge die Klagelieder über die scheinbar hoffnungslose Lage bei Kindern und Jugendlichen. Diese erscheinen zu einem großen Teil als respektlos und ohne jede Orientierung an allgemein verbindlichen Werten und Normen. Dabei handelt es sich in vielen Fällen um Kinder aus intakten Familien, bei denen die üblichen Erklärungsmuster wie »schwierige Kindheit «, »kaputte Familie« oder »ungünstiges soziales Umfeld« nicht greifen.
Schwierigkeiten bereiten zunehmend Kinder und Jugendliche, deren Eltern vom ersten Tag an liebevoll mit ihnen umgehen, für jeden gut gemeinten Erziehungsratschlag dankbar sind und innovative pädagogische Konzepte in die Tat um zusetzen versuchen. Auch der Täter von Emsdetten kam, nach allem, was wir wissen, aus einer funktionierenden Familie, war ein guter Schüler. Dass er als Einzelgänger bekannt war, musste ja nicht zwangsläufig zum Amoklauf führen.
Doch zurück zu den Mechanismen, die in solchen Fällen üblich sind. Die Reaktion, die innerhalb der Gesellschaft in der vergangenen Zeit auf dieses Phänomen zu beobachten ist, setzt in der Hauptsache auf eine Pädagogikdebatte. Schwer unter Beschuss geraten ist dabei die so genannte 68er-Generation, also all jene, die aus der Not einer ganz spezifischen Generationserfahrung, dem Ausbruch aus als zu eng empfundenen Fesseln der Erziehung und Disziplin, eine Tugend gemacht zu haben schienen: Konzepte antiautoritärer Erziehung, überhaupt eine scheinbar totale Ächtung des Autoritätsbegriffes, waren lange Zeit Konsens unter all jenen, die im pädagogischen Bereich tätig waren. Auch bei den Eltern war oft eher die »lange Leine« angesagt, um nicht die gleichen Fehler zu machen, die man bei den eigenen Eltern als prägend erfahren hatte.
Vielfach ist derzeit eine radikale Umkehr zu beobachten. Erziehungsratgeber empfehlen zunehmend mehr Strenge und Konsequenz in der Erziehung, der berühmte »Klaps auf den Hintern« ist wieder diskussionsfähig geworden, wobei die derzeitige Tendenz häufig genug dahin geht, dass eben jener »noch niemandem geschadet habe«. Eine derzeit durchaus salonfähige Feststellung, die, unabhängig davon, ob sie richtig oder falsch ist, noch vor nicht allzu langer Zeit für große Empörung gesorgt hätte. Ob »Klaps« oder nicht »Klaps«, eines scheint in der gegenwärtigen Diskussion über jeden Zweifel erhaben: Der Schlüssel zu einer Änderung im Zustand unserer Kinder und Jugendlichen liegt in einer neuen Pädagogik und darauf aufbauenden didaktischen Modellen. Es wird indes nicht gesehen, dass man es sich damit zu einfach macht. Natürlich kann man »Alte Pädagogik« und »Neue Pädagogik« gegenüberstellen und daraus banale Erkenntnisse formulieren wie etwa die, dass es für Kinder besser sei, manchmal ein »Nein« zu hören, oder auch Entscheidungen in einem kommunikativen Prozess zu finden, anstatt einfach den Anweisungen des Lehrers zu folgen und diese auszuführen. Kaum jemand wird diesem Ansatz, der hier nur stellvertretend für viele weitere Ideen einer »Neuen Pädagogik« steht, widersprechen. Nur: Was braucht das Kind, um diese kommunikative Leistung überhaupt erbringen zu können? Wie sind der Lärmpegel und das sowohl Lehrer als auch Mitschüler missachtende Kommunikationsverhalten vieler Schüler heute mit solchen Ansätzen in Einklang zu bringen?
Ich verfolge demgegenüber einen grundlegend anderen und vor allem neuen Gedanken, um in der Sackgasse der aktuellen Debatte kehrtzumachen und nach neuen Wegen zu suchen, die schließlich auch zu sinnvollen pädagogischen Bemühungen führen können. Um diese Wege zu finden, muss man sich auf das Feld der Tiefenpsychologie und der Psychiatrie begeben.
© 2008 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von Michael Winterhoff
Dr. Michael Winterhoff, geboren 1955, Dr. med., ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie. Carsten Tergast wurde 1973 in Leer/Ostfriesland geboren. Nach einer Lehre als Sortiments-Buchhändler absolvierte er ein Literatur- und Medienwissenschaftsstudium in Paderborn und arbeitete als freier Mitarbeiter des Westfalen-Blatts, sowie als Redakteur und Chef vom Dienst beim Branchenmagazin BuchMarkt. Seit Ende 2005 ist er freiberuflicher Journalist, Autor und Texter für verschiedene Print- und Online-Publikationen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Michael Winterhoff
- 2010, 223 Seiten, Maße: 12,5 x 18,2 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442171288
- ISBN-13: 9783442171286
- Erscheinungsdatum: 09.12.2009
Rezension zu „Warum unsere Kinder Tyrannen werden “
"Winterhoff trifft auf einen bloßliegenden Nerv, der pocht und klopft und schmerzt." Der Spiegel
Pressezitat
"Winterhoff trifft auf einen bloßliegenden Nerv, der pocht und klopft und schmerzt." Der Spiegel
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